Schwäbisches Tagblatt, 5. Juli 2004


Schicht für Schicht in die Tiefe
Brigitte Stemmler erkundet mit dem Forum Tanz im Foyer U 3 neue Wege.

REUTLINGEN (gab). Es gab viel Neues zu sehen beim aktuellen Programm "Marodia" von Brigitte Stemmler, das sie mit Schülerinnen und Studentinnen ihrer Schule am Samstagabend im Foyer U3 zeigte: eine veränderte Truppe, eine andere Bewegungssprache als bisher und ein deutlicher Zusammenhalt, der die einzelnen Stücke inhaltlich wie musikalisch miteinander verband.
Fröhlich und vital begann der Abend zu Musik von Uakti. Sieben Tänzerinnen mischten sich mit leichten und flüssigen Bewegungen. In wechselnden Formationen nahmen sie immer wieder Bezug aufeinander, blieben dabei auf eigentümliche Weise aber stets für sich. Eine andere Sprache zeigten "Pommes d'amour" und "Querelles" zu Musik von Rene Aubry, das Stemmler für die jüngeren Mitglieder ihrer Truppe choreographiert hatte. Härter in der Qualität und mit Versatzstücken aus dem Sport versehen, äußerte sich die beibehaltene Vitalität hier eher zappelig und mechanisch-steril. Bei der "Improvisation zum Thema Stuhl" erkundeten sechs Tänzerinnen, in kaltes Licht getaucht,zunächst zu unbehaglichen Klängen von Jan Garbarek, welche Beziehungen sich zu dem Plastikmöbel herstellen lassen.
Eine besondere Herausforderung der zweite Teil: Hier lösten sich jeweils zwei Frauen aus der Sechsergruppe, erkundeten für sich ihre originäre Bewegungssprache und traten dann in einen improvisierten Dialog mit dem jeweiligen Gegenüber. All das ohne einzige klingende Note - musikloser Tanz, wie ihn Pioniere des Modem Dance wie etwa Mary Wigman als vollendete Kunstform bewertet haben. Tatsächlich fehlte der akustische Klang jedoch keinen Augenblick, so dicht war der Ausdruck dessen, was sich zwischen den Partnerinnen abspielte. - "Marodia", ein Tanzstück über die Unwirklichkeiten des Lebens, so bezeichnet Brigitte Stemmler das einzige von ihr selbst solistisch getanzte Stück. Und es schien, als hätten alles Vorhergegangene die Betrachtenden Schicht für Schicht in die elementaren Tiefen des Lebens an sich geführt, dessen letzte Stufe sie in ihrem Tanz darstellte.
Zur Filmmusik aus "Die Erde weint" und Klängen von Jan Garbarek beschrieb Stemmler in Zeitlupe den ihren Körper umgebenden Raum bis zum Boden, von dem sie etwas aufzulecken schien. Vollendete Linien kontrastierten eigenwillig mit diesem animalischen Gebaren und weckten Assoziationen zu archaischen Gestalten aus der griechischen Mythologie. Die Umkehrung folgte im zweiten Teil: Hier legte sie ihr Inneres auf die Erde, klopfte und trat es fest. Zum Schluss obsiegten Lebensfreude und Energie: im fröhlichen Ensemble-Finale zu Musik von Aubry.