Reutlinger Nachrichten, 8. Juli 2004


BALLETT / Brigitte Stemmlers "Forum Tanz" zeigt ein neues Programm im Reutlinger Foyer U 3

Die Erde weint: Von der Unwirklichkeit des Lebens

Mal schockierend, mal verträumt: "Marodia" - das neue Programm des Forum Tanz von Brigitte Stemmler - zeigt die Bandbreite zeitgenössischer Stilelemente.
MARIE-LOUISE ABELE

("Marodia" und mehr: Das Forum Tanz mit neuem Programm. FOTO: mla)

REUTLINGEN. Den eingefleischten "Modern Dance"-Fans bot der Tanzabend im Foyer U 3 einen abwechslungsreichen Einblick in die aktuelle Arbeit des "Forum Tanz" von Brigitte Stemmler. Was zunächst als fröhlich, leichtes Tanzprogramm erschien, entwickelte sich im Laufe der 60 Minuten zu einem wahren "Seelenstrip" - psychische Prozesse Befindlichkeiten, übersetzt in Bewegung.
Die 18 Studentinnen und Schülerinnen von Brigitte Stemmler zeigten in unterschiedlichen Stufen des Könnens, wie die Choreografin in ihrer Arbeit neue Wege erkundet. So ist das Programm ein Spiel zwischen Distanz und Nähe, wobei die Nähe auch immer eine Kluft hinterlässt. Sie habe eine stressige und unangenehme Zeit hinter sich, verriet Stemmler im Nachhinein. Das ging nicht spurlos an ihrer Arbeit mit zeitgenössischem Tanz vorbei, dessen Möglichkeiten sie gleichsam als inneres Ventil nutzte.
Fröhlich und lebendig starten sieben Tänzerinnen mit Klängen der brasilianischen Avantgarde-Band Uakti den Abend. Weiter geht es mit der jüngeren Truppe, die sich zu der Musik des französischen Theater- und Balletkomponisten Rene Aubry bewegen. Bei der Improvisation zum Thema Stuhl bringen sich sechs Tänzerinnen stets in einen neuen Kontext mit dem Klappgestell. In blaues, kaltes Licht getaucht suchen sie in der Bewegung den Dialog, mal miteinander; mal allein, unterstützt von der Lautlosigkeit des Raumes. Die Musik wird nicht vermisst, viel zu sehr konzentriert sich der Betrachter auf die verschiedensten Situationen und Konstellationen der sich erkundenden Tänzerinnen.
Was Brigitte Stemmler mit ihrer ganz eigenen Art von Bewegung bewirken möchte: die Zuschauer am bewegten Ausdruck persönlicher Gefühle teilhaben lassen. Mit ihrer aktuellen Solo-Nummer "Marodia", entstanden aus den Wörtern "marode" und "Utopia", versetzt sie ihr Publikum in ein Wechselbad der Gefühle. "Ein Tanzstück über die Unwirklichkeit des Lebens", heißt es im Programm.

Die Erde weint

Brigitte Stemmlers Bewegungsrepertoire zur Filmmusik "Die Erde weint" und zu Klängen von Jan Garbarek zeigt zum einen animalische Züge, aber auch roboterartige, als wäre sie als Mensch innerlich abgestorben.
Sie skizziert einen inneren Konflikt: Wie wenn ein Tier sie in Beschlag nimmt, von dem sie sich aber lösen möchte. Ekel und Abscheu mischen sich mit Faszination und Respekt. Brigitte Stemmler lebt ihre Rolle. Ihr Körper, drahtig und muskulös, als Werkzeug der düsteren Musik, greift Klänge geradezu seismographisch auf.
Brigitte Stemmler wird mit ihrem Solo-Tanzstück "Marodia" am 3. Oktober im LTT in Tübingen zu sehen sein.